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Ein Interview mit Prof. Dr. Christian Hürter zu leanem Handwerk – und was sein Startup ZIP Software dazu beitragen kann.
Ein Interview mit Prof. Dr. Christian Hürter zu leanem Handwerk – und was sein Startup ZIP Software dazu beitragen kann. Geführt von Julia Mähl. Der Artikel erschien zuerst im Magazin „Digitalisierung in Handwerk, Montage & FM“ für Entscheiderinnen und Entscheidern aus eben diesen Teilbranchen.
„Lean“ bedeutet Management à la Toyota. Toyota feiert dieses Jahr 75-jähriges Jubiläum und ist immer stabil gewachsen, über drei Generationen hinweg. Die dahinter liegenden Erfahrungen und Praktiken dechiffriert man bei uns im Westen seit etwa 30 Jahren unter dem Begriff Lean. Lean hilft Betrieben dabei, ihr Geschäft am Kundenbedürfnis auszurichten und in diesem Sinne schlank zu gestalten. Zunächst wurde Lean in der Automobilindustrie eingeführt. Ein gutes Beispiel dafür ist der Turnaround bei Porsche Anfang der 1990er Jahre. Heute ist Lean jedoch fester Bestandteil der Managementlehre, branchenübergreifend.
Im Handwerk bedeutet Lean, den Wert einer Leistung aus Kundensicht zu kennen und zu maximieren. Wenn zum Beispiel ein Bauleiter zum Handwerker kommt und sagt „Da drüben muss nachgespachtelt werden“, dann macht es unternehmerisch gesehen einen Riesenunterschied, ob das eine vergütungspflichtige, wertschöpfende, Zusatzarbeit ist oder ob es sich um die Behebung eines nicht-wertschöpfenden Mangels handelt, für die der Kunde nicht zu zahlen bereit ist. Lean bedeutet, dass Handwerker ihre Arbeit am Ziel maximaler Wertschöpfung ausrichten. Ein solches Verhalten kann man trainieren und durch Kommunikation im Alltag verankern.
Ich habe mich lange mit Lean in der Automobilindustrie beschäftigt. Gerade die Herausforderungen haben mich gereizt, zum Beispiel zwischen Entwicklung und Produktion. Als ich dann 2006 vom Inhaber eines großen Handwerksbetriebs angesprochen wurde, ob ich helfen wolle, Lean ins Handwerk zu bringen, habe ich Ja gesagt. Denn Lean im Handwerk war damals vollkommen neu. Und Handwerk verstehen bedeutet, die Grundlagen des Wirtschaftens zu verstehen. Das fasziniert mich – nach wie vor!
Ich glaube, dass viele unserer Erfahrungen und Praktiken auch für andere Handwerksbetriebe gelten. Dazu kommt, dass Software für Handwerker viel zu kompliziert ist. Genauso kleinteilig wie das Handwerk ist auch die Softwarewelt organisiert – lauter kleine Innovatiönchen. Gereizt hat mich die Herausforderung, an einer echten Innovation zu arbeiten.
Wir entwickeln ZIP Messenger, eine Messenger-App, die sich genauso intuitiv bedienen lässt wie z.B. WhatsApp. Dazu gibt es ein paar Besonderheiten für die Abwicklung von Baustellen: z.B. kann man Projekte gruppieren, gerade für Kleinunternehmer ist das sehr praktisch, um den Überblick zu behalten. In den nächsten Monaten kommen intelligente Funktionen dazu, z.B. Übersetzungsfunktionen und einfache Business-Funktionen, z.B. um Leistungsstände zu erfassen und zu teilen.
Wir halten kleine Einheiten für die Quelle unternehmerischer Leistung. Auch erfolgreiche, große Handwerksbetriebe bestehen in unseren Augen aus vielen kleinen, weitgehend selbständigen und unabhängigen Einheiten. Wenn Du Erfolg haben willst, – egal ob als Angestellter oder als Selbständiger – dann musst Du Dich in Deinem Verantwortungsbereich fühlen wie ein Unternehmer. Jeder Mensch kann und sollte in diesem Sinne Unternehmer sein.
Wir denken, dass wir mit ZIP Messenger dazu beitragen können. Denn Business-Software ist in den allermeisten Fällen schlicht zu kompliziert. Unternehmer können sich nicht aufs Wesentliche nämlich Wertschöpfung konzentrieren, sondern ersticken in Verwaltungstätigkeiten. Mit anderen Worten: Handwerker bedienen Systeme. Das ist aber Quatsch!
Umgekehrt muss es sein: das System muss den Handwerker bedienen. Höchste Zeit für eine neue Einfachheit. Und da denke ich zuallererst an eine intuitive und intelligente App, die iimmer dabei ist, mit der wir möglichst natürlich kommunizieren, und die es uns einfach macht, geschäftliche Informationen zu verarbeiten. An genau so einer App arbeiten wir. Wir starten mit einem Messenger und entwickeln diesen dann Schritt für Schritt weiter zu einer virtuellen Assistenz für Unternehmer.
Also zunächst einmal das Bedürfnis nach Einfachheit. Denn wenn ich Nachunternehmer an mich binde, dann geht es primär um die Beziehung zwischen Menschen. Handwerker haben auch vor fünfhundert Jahren schon in unterschiedlichen Gewerken zusammengearbeitet. Hier heißt es „runter mit den Kommunikationshürden“. Und dann gibt es da noch ein zweites Bedürfnis, nämlich nach Sicherheit. Das ist nicht erst wichtig, seitdem Schwarzarbeit und Arbeitnehmerüberlassung stark kontrolliert werden. Und neben Rechtssicherheit gibt es noch einige andere Aspekte von Sicherheit, z.B. Transparenz und Verbindlichkeit von Vereinbarungen.
Zusammenfassend meine ich: Einfachheit und Sicherheit sind die Kernbedürfnisse für die Zusammenarbeit zwischen Unternehmern.
Einfachheit und Sicherheit – da sind sie wieder, die beiden Kernbedürfnisse. Genau die sollte ein System erfüllen. Für ZIP Messenger bedeutet Sicherheit im Umgang mit Leistungen beispielsweise, dass wir in Zukunft Leistungen nicht nur erfassen, sondern auch mit Nachunternehmern, Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten intelligent teilen können. Und für eine größtmögliche Einfachheit soll ZIP Messenger bis 2023 schrittweise um Assistenzfunktionen wie etwa Sprachbedienung erweitert werden.
Wir waren zunächst bei einem Google-Ökosystem. Aktuell setzen wir aber auf weitgehende Unabhängigkeit von großen internationalen Anbietern. Das ist nicht ganz leicht, weil Google, Amazon und Microsoft ja sehr attraktive Tarifmodelle haben, gerade für Start-Ups. Dennoch haben wir uns für Cloud-Services eines deutschen Rechenzentrums entschieden.
Konsolidierung findet meiner Ansicht nach nur bei wenigen großen Betrieben statt. Der Gesamtmarkt ist und bleibt meiner Meinung nach atomistisch: fast zwei Drittel der Umsätze werden von Kleinunternehmen mit unter 50 Mitarbeitern generiert. Kleinunternehmen stellen 99% aller Baubetriebe.
Zum Handwerker der Zukunft: ich denke, das lässt sich gut an der Rolle des Vorarbeiters veranschaulichen. Der Vorarbeiter ist traditionell der beste Facharbeiter, der fürs Team vorlegt, der also auf gut deutsch die meisten Quadratmeter pro Stunde an die Wand bringt und so das Team vorantreibt. Das wird aber immer schwieriger in Zeiten von Facharbeitermangel und “Generation Z“. Künftig ist Vorarbeiter, wer am besten fürs Team vorsorgt.
Die Zukunft lautet also „Vom Vorarbeiter zum Vorsorger”. Um für die Zukunft fit zu bleiben, sollten Handwerksbetriebe auf dreierlei setzen: Weiterbildung mit durchgängigen Karrierewegen, “Führung 2.0”, also eine geeignete Begleitung und Vorbildfunktion für Vorsorger, und drittens Kommunikation. Kommunikation braucht natürlich Führung und Weiterbildung, aber eben auch das passende Kommunikations-Werkzeug. Daher setzen wir so stark auf einen Messenger.